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Essen

Kreislaufhaus im Welterbe Zollverein

Das neue Verwaltungsgebäude liegt auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein in Essen, einem der attraktivsten Kultur- und Wirtschaftsstandorte des Ruhrgebietes. Als gemeinsamer Sitz von RAG-Stiftung und RAG war es das Ziel, ein Verwaltungsgebäude zu schaffen, das beiden Nutzern räumlich gerecht wird und sich sensibel in das denkmalgeschützte Ensemble des Welterbes einfügt. Zudem sollte ein Neubau mit hohem Nachhaltigkeitsanspruch entstehen. Die maßgeblichen Architekten der Zeche Zollverein, Fritz Schupp und Martin Kremmer, vertraten die Auffassung, dass Industriearchitektur nicht nur zweckmäßiger, sondern wohl geformter Teil der täglichen Lebenswelt sein solle. Diese Qualität des heutigen Welterbes galt es zu bewahren und wiederzubeleben. So bewährt sich der Entwurf als eigenständig und zeitgemäß, was auch mit dem Augenmerk zu tun hat, das Bauherren und Planer auf die gewandelten gesellschaftlichen Herausforderungen legen: An die Stelle der engeren Energiefrage ist heute eine komplexere Auffassung von Zukunftsfähigkeit getreten, die den Baukörper im Ganzen prägt. Vorrangig war die Schaffung qualitätsvoller Räume nicht allein im Innern, sondern ebenso nach außen und der Wille, den überbauten Grund an die Natur zurückzugeben.

Westlich des ikonischen Zechenturms und vis-à-vis der mächtigen ehemaligen Kokerei gelegen, schließt der Neubau die Ecke des Terrains am Übergang zum angrenzenden Waldstück. Die Planung folgt, wie im Masterplan von 2007 vorgegeben, den Bestandsbauten sowohl farblich und im Aufgreifen ortstypischer Strukturen als auch in seiner pragmatischen Errichtungsweise, die Flexibilität und künftige Anpassungen erlaubt. Das L-förmige Gebäude nimmt die Grenzen des Eckgrundstücks auf und bildet eine Adresse zum vorgelagerten ‚Weißen Platz‘. Von hier aus setzt eine großzügige Treppenanlage die umgebende Landschaft fort und führt hinauf auf die Dachlandschaft. Die Büroräume der beiden Nutzer sind um zwei ebenfalls begrünte Innenhöfe angeordnet und werden ringförmig erschlossen. Der Neubau orientiert sich an innovativen Nachhaltigkeitsstandards für rezyklierbares Bauen und strebt außerdem die höchste DGNB-Zertifizierung in Platin an.

Mehrwert an der Schnittstelle zwischen Industriekultur- und Naturlandschaft

Unter der Maxime „…jeder Quadratmeter Welterbe ist wertvolle Fläche“ kompensiert die begehbare begrünte Dachlandschaft die durch die Baumaßnahme versiegelte Grundfläche und bietet einen identitätsstiftenden Mehrwert-Raum an der Schnittstelle zwischen Industriekultur- und Naturlandschaft. Dem Wunsch, dem bebauten Grund ein Stück Natur zurückzugeben, wurde durch die Gestaltung des intensiv begrünten Daches entsprochen. So entstand eine variantenreich bepflanzte Ebene, die zwischen Kultur- und Naturraum vermittelt und selbst zur Landschaft wird. Ansteigende Flächen über der Kantine und den Eckräumen erzeugen abgestufte Sitzbereiche; Pfade und Terrassen machen den Außenbereich nutzbar. Dazwischen befinden sich vielfältige Staudenpflanzungen, kleine Gehölze, ein Kräuterbeet, eine Photovoltaik-Pergola sowie Fledermauskästen. Das Gebäude bietet seinen Nutzern somit hochwertige Freianlagen mit Aufenthaltsqualität und wirkt sich positiv auf das Mikroklima und die Biodiversität des Standortes aus.

Rezyklierbarkeit und Material Passport

Bereits durch die Wahl des Baugrundstücks auf einer vormals intensiv industriell genutzten Fläche der ehemaligen Kokerei Zollverein wurde dem Flächenrecycling der Vorrang gegeben. Zudem ist der Neubau des Verwaltungsgebäudes von RAG-Stiftung und RAG eines der ersten Bauwerke mit umfänglichen ‚Cradle to Cradle‘-inspirierten Maßnahmen in Deutschland. Letzteres bedeutet, dass Materialien und Bauteile neben gesundheitlichen und ökologischen Aspekten vor allem auch nach ihrer Kreislauffähigkeit ausgewählt wurden, sodass das Gebäude nach seiner Lebensdauer seine Rohstoffqualitäten bewahrt und als Ressourcendepot dient.

Im Rahmen des EU-Forschungsprojekts ‚Buildings as Material Banks (BAMB)‘ war das Gebäude ein Pilotprojekt und die verwendeten Materialien wurden in einem ‚Material Passport‘ dokumentiert. Die erdberührten Bauteile wurden größtenteils in wasserundurchlässigem Beton ohne zusätzliche Abdichtung ausgeführt. Die opaken Außenwände sind mit Aluminiumblechen verkleidet. Die Fensterbänder bestehen aus einer Rahmen-Konstruktion aus C2C-zertifizierten Aluminiumprofilen und Gläsern. Darüber hinaus wurden in dem Gebäude feinstaubbindende Teppichfliesen und Eichen-Parkett als C2C-zertifizierte Bodenbeläge sowie ein C2C-zertifiziertes Glastrennwandsystem verwendet. Neben dem Einsatz von Geothermie wird mittels einer Photovoltaikpergola auf der Dachfläche zusätzlich erneuerbare Energie aus Sonnenlicht gewonnen. Der Wasserkreislauf wird durch die Nutzung von Regenwasser für die Gründachbewässerung und WC-Spülung geschont.

Ein Haus  – Zwei Nutzer

Die durch die Ecklage bedingte Zweiflügeligkeit des Gebäudes spiegelt sich unmittelbar in seiner funktionalen Ordnung wider. Die beiden Nutzer verteilen sich auf die Flügel des winkelförmigen Gebäudes, während gemeinschaftliche Einrichtungen wie Foyer, Konferenzräume und Mitarbeiterrestaurant im ‚Gelenk‘ zum Begegnungsort aller Mitarbeiter werden. Das Foyer im Erdgeschoss und das Restaurant im Obergeschoss inszenieren zudem die Lage an der Schnittstelle zwischen Kultur- und Naturlandschaft mit Ausblicken auf Zechengelände und Grün. Neben dem Sitzbereich der Kantine bieten auch die von der Gastronomie bespielte nördlich vorgelagerte Terrasse und die südliche überdachte Loggia entsprechend abwechslungsreiche Blickbezüge. Im westlichen, kleineren Flügel gruppieren sich auf zwei Geschossen die Räumlichkeiten der RAG-Stiftung, im östlichen Flügel die Räume der RAG ringförmig um die zwei begrünten Innenhöfe. Die Wegeverknüpfungen des Hauses sind konzeptueller Bestandteil des Entwurfs. Die Ringerschließungen der Bürobereiche werden durch ‚Shortcuts‘ ergänzt, welche die Höfe durchschneiden. In beiden Flügeln gibt es eine Wegeverbindung auf das Dach des Gebäudes. Damit wird die innere und äußere Erschließung zum Kontinuum, das zum ‚erwandern‘ des Hauses einlädt. Die besonderen Bereiche des Gebäudes (Kantine, Vorstandsbereiche) werden durch eine Überhöhung der Räume betont. So faltet sich die Dachlandschaft an den entsprechenden Gebäudeecken nach oben. Dadurch bilden sich auf dem Dach Sitzstufen in Tribünenform aus, die entweder den Blick auf die Kokerei, den Wald oder einen besonderen Bereich des Dachs freigeben. Im Innenraum trägt die Faltung zu einer erhöhten Raumqualität bei.

Restaurant als Begegnungsort

Das Restaurant ist als ‚Multiraum‘ funktional doppelt belegt. Im alltäglichen Betrieb dient es als Gastbereich der Kantine und stellt das zentrale, prägende Raumkontinuum des Gebäudes dar. Auf ganzer Tiefe durchzieht der Raum das Gebäude und verknüpft so visuell den südlichen Grünraum mit dem nördlichen Kokereigelände. Durch eine Faltwand abtrennbar, kann ein Bereich jedoch losgelöst vom Restaurantbetrieb für exklusive Sonderveranstaltungen genutzt werden. Außerhalb der Essenszeiten ist dieser Multiraum als Meeting Point, allgemeiner Kommunikationsbereich und alternativer Arbeitsplatz zu verstehen. Die Kantine selbst dient außerhalb der Essenszeiten als Cafeteria.

Text: kadawittfeldarchitektur I Aachen